
Rideler – Smarte Lenkerenden
2014 war das Smartphone am Fahrradlenker auf dem Weg zum Standard. Navigation, Fitness-Tracking, Musik, WhatsApp – alles griffbereit während der Fahrt. Die Fahrradindustrie sprang auf diesen Trend auf, mit besseren Halterungen und speziellen Apps.Zeitgleich gab es einen zweiten Trend: Mit der zunehmenden Zahl an Radfahrer:innen stieg auch deren Unfallrisiko. Während wir also versuchten, ein Informationszugangs-Problem zu lösen, schufen wir ein Aufmerksamkeits-Problem und verschärften dadurch das Sicherheitsrisiko.
Was wäre, wenn wir die Informationszugänglichkeit verbessern könnten, ohne die Aufmerksamkeit der Radfahrer:innen zu beeinträchtigen?
So entstand Rideler – smarte Lenkerenden, die über LEDs relevante Informationen dezent im peripheren Blickfeld anzeigen.
Meine strategische Wette
Im 3. Semester bekam ich die Chance, im Kurs »Sensorik« ein freies Projekt zu entwickeln. Keine Arduino-Erfahrung, keine Android-Skills, vier Monate Zeit. Die naheliegende Entscheidung wäre gewesen, etwas Machbares zu bauen. Ich entschied mich ein reales und wachsendes Problem zu thematisieren.
Statt einer Installation, um Aufmerksamkeit zu erzeugen wollte ich eine Lösung aufzeigen. Dafür wettete ich auf drei Thesen, die damals nicht selbstverständlich waren:
- Information Design schlägt Information Quantity
Nicht mehr Daten für Radfahrer, sondern intelligentere Filter. Das Interface sollte in der Peripherie verschwinden und nur bei Relevanz Aufmerksamkeit fordern – Ambient Computing, bevor der Begriff Mainstream wurde.
- Hardware als designed limitation
Bewusst gegen den Software-Trend: Smarte Lenkerenden ohne Display, ohne Touch, ohne Eingabemöglichkeit. Nur LEDs im peripheren Sichtfeld. Diese Beschränkung war keine Kompromiss-Lösung mangels Skills – sie war die Kern-Innovation.
- Community erzeugt Intelligenz
Statt zentralisierter Gefahrendatenbank: Radfahrer markieren für andere Radfahrer Schlaglöcher, Gefahrenstellen, sichere Parkplätze. Der Netzwerkeffekt wird zum Business Model. Ich konzipierte einen zweiseitigen Marktplatz, bevor Waze dieses Prinzip für Autos popularisierte.
Die Umsetzung
Diese drei Wetten umzusetzen bedeutete: Einen Hardware-Prototypen bauen, eine native Android-App entwickeln, Bluetooth-Kommunikation implementieren – alles parallel in vier Monaten lernen.
Der entscheidende Durchbruch lag im Development einer Pattern Language für die LED-Signale. Durch qualitative Tests entwickelte ich Lichtmuster, die Dringlichkeit kommunizierten ohne Panik zu erzeugen: Ein Hinweis pulsiert anders als die Warnung vor einer Gefahrenkreuzung. Die App aggregierte GPS-basierte Daten und übermittelte nur gefilterte Relevanz an die Lenkerenden.
Das Ergebnis: Ein funktionierender Proof of Concept aus 3D-gedruckten Gehäusen, Arduino-Board mit Bluetooth-Modul, umlaufenden LED-Ringen und einer Companion-App mit Simulations-Modus für Demos.

Basis des Prototyps war ein Arduino BLE Board.

Realisiert wurde der Prototyp mit 3D-gedruckten Lenkerenden.

Aus den Erfahrungen des ersten Prototyps entstand ein Rendering der überarbeiteten Version.

Die neue Version ist kleiner und verfügt über umlaufende LED-Ringe.

Die Companion-App wurde nativ in Android umgesetzt und ist voll funktionsfähig.
Frühe Marktsignale
Bei der Präsentation auf der Semesterausstellung und der Mainfranken Messe in Würzburg zeigte sich: Die Vision traf einen Nerv. Durchweg positive Resonanz, hohes Interesse, konkrete Fragen: »Wann kann ich das kaufen?« Ein Fahrradkurier fragte nach einer Custom-B2B-Lösung für seine Firma.
Zeitgleich zu meiner Entwicklung kam COBI mit einer ähnlichen Vision für vernetzte Fahrrad-Hardware auf den Markt. Allerdings mit dem Smartphone als zentralem Interface. Ihr Ansatz: Das Phone bleibt, wird aber smarter integriert. Mein Ansatz: Das Phone verschwindet aus dem Sichtfeld.
Der Markt war noch nicht bereit. Bluetooth LE war unreif, Smartphone-Sensoren unzuverlässig, und der urbane Fahrrad-Boom lag Jahre entfernt. COBI kämpfte sich durch diese Hürden und wurde 2019 von Bosch übernommen. Ein Signal, dass die Kategorie Connected Cycling Hardware reif wurde.

Strategic Foresight ist nicht Hellseherei
Hätte Rideler ein Business werden können? Vielleicht. Das Market Timing war verfrüht, die Technologie noch nicht robust genug. Aber darum geht es nicht. Der Wert liegt im Nachweis einer Fähigkeit: Konvergenzpunkte erkennen, bevor sie offensichtlich werden.
Ich machte nicht eine, sondern drei strategische Wetten gleichzeitig – und alle drei trafen ein. COBI/Bosch bewies, dass Connected Cycling ein Markt ist. Waze bewies, dass Community-Daten funktionieren. Apple Watch bewies, dass Ambient Interfaces Screens schlagen.
Diese Mustererkennung – zu sehen wo Technologie, Nutzerverhalten und Marktbedingungen zusammenlaufen, dann Wetten einzugehen, bevor der Markt konvergiert. Das ist, was ich auch heute in Organisationen einbringe.
Was ich aus dem Projekt mitnehme
Strategisches Produktdenken bedeutet nicht, die Zukunft vorherzusagen. Es bedeutet zu erkennen, welche Zukünfte wahrscheinlich werden und sich vorher zu positionieren.
2014 baute ich nicht ein cooles Fahrrad-Gadget. Ich platzierte eine These über die Zukunft urbaner Mobilität, Ambient Computing und Community-gestützter Infrastruktur. Der Markt brauchte ein Jahrzehnt, um zu konvergieren, aber er tat es.
Das ist der Unterschied zwischen taktischem und strategischem Design: Taktisches Design löst das Problem von heute. Strategisches Design antizipiert das Problem von morgen und baut die Lösung von übermorgen.
Das Projekt entstand im Kurs »Sensorik« unter Betreuung von Prof. Erich Schöls im 3. Semester.